Dies ist keine Festschrift. Dabei hätte es durchaus einen Anlass gegeben: Am 20. Juli 2011 wurde Michael Stolleis 70 Jahre alt. Die Herausgeber haben wie bereits bei seinem 65. Geburtstag einen indirekteren Weg der Ehrung beschritten. Damals beleuchteten mehrere Wissenschaftler die Michael Stolleis interessierende Fragestellung nach konfessionellen Einflüssen auf Recht und Rechtswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert.
Diesmal haben wir ein anderes Thema und eine andere Form gewählt. Dieser Band der Rechtsgeschichte ist ganz der Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts gewidmet. Damit stellen wir das zentrale Thema des wissenschaftlichen Werks von Michael Stolleis in den Mittelpunkt. Dies geschieht in der – wie wir finden – begründeten Hoffnung, dass die Vielfalt der Perspektiven durch Beiträge unterschiedlichster Autoren neue Facetten des Themas hervorbringt. Wir hatten deshalb folgendes Einladungsschreiben an ausgewählte Kolleginnen und Kollegen versandt:
»Die Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts ist ein vergleichsweise junges Forschungsfeld. Sie hat sich später als jene des Zivil- oder Strafrechts entwickelt. Das hat mit dem größeren Alter der letztgenannten Rechtsgebiete zu tun, aber auch mit akademischen Traditionen und Forschungslogiken. Der thematische Fokus der Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts liegt auf so verschiedenen Gegenständen wie dem Ius publicum, der vormodernen Policey und Policeywissenschaft, der Lehre der Verwaltungswissenschaft und des Staats- und Völkerrechts, ferner der Staatslehre und dem Staatskirchenrecht. Sie alle empfingen wichtige Impulse vom Aufbau und Wachstum der Staatlichkeit – ein Prozess, der sich in Europa nach der Renaissance beschleunigt und durch Faktoren wie Glaubensspaltung und Wissenschaftsrevolution maßgeblich bestimmt wird. Noch jede aktuelle Entwicklung wie der Umbau und die Transnationalisierung der Staatlichkeit wirft neue Schlaglichter auf diese Geschichte und stellt neue Fragen. Längst hat sich der Fokus über Europa hinweg geweitet, globale und transnationale Entwicklungen sind den klassischen nationalen und territorialen Studien zur Rechts- und Verfassungsgeschichte zur Seite gerückt, und das betrifft auch die Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts.
Wir laden Sie hiermit herzlich ein, Ihre eigenen forschungspolitischen Einschätzungen oder die Ergebnisse Ihrer Forschung in Band 19 der Rechtsgeschichte zur Debatte zu stellen. Wie sieht es im internationalen Vergleich mit der Erforschung dieses Felds aus? Welche Themen, Methoden und Trends lassen sich ausmachen, wo liegen Desiderate, welche Thesen lassen sich formulieren? Mit welchen Begriffen kann und soll man hier operieren und welche neuen Perspektiven ergeben sich daraus für die gesamte Rechtsgeschichte?«
Die zu diesem Aufruf eingegangenen Beiträge finden sich nun in diesem Heft versammelt. Umrahmt werden sie durch Bilder des niederländischen Fotografen Jan Banning. Sie entstammen seinem Projekt »Bureaucratics«, für das er während fünf Jahren in acht Ländern auf fünf Kontinenten fotografiert hat und das mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet wurde. Daraus sind ein Buch und eine Ausstellung entstanden, die 50 ausgewählte Bilder aus Bolivien, China, Frankreich, Indien, dem Jemen, Liberia, Russland und den Vereinigten Staaten zeigen.
Banning fotografierte die »Bürokraten« unangemeldet; parallel laufende Befragungen des mitreisenden Schriftstellers Will Tinnemans hielten die Portraitierten davon ab, ihre Dienstzimmer aufzuräumen oder sonst in Szene zu setzen. Stattdessen bekommt der Betrachter nun einen ungeschminkten Blick auf jene Orte geboten, an denen der Staat sich und seine Bürger verwaltet. Banning nennt seine Serie »the product of an anarchist’s heart, a historian’s mind and an artist’s eye«. Die Bilder, aufgenommen aus der Perspektive des Supplikanten, erlauben einen kulturell-vergleichenden Blick auf die Amtsstuben und den Habitus ihrer Bewohner, nicht nur in ihrer frontalen Ausrichtung mögen sie den Betrachter an August Sanders epochale Dokumentation »Menschen des 20. Jahrhunderts« erinnern. Freddy Langer, der Kritiker der FAZ, nannte sie »eine sozialdokumentarische Studie über das Aufeinandertreffen von Volk und Herrschaft«. Die Herausgeber dieses Hefts finden diese »Ikonografie der Staatsmacht« passend für einen Rechtshistoriker der modernen Staatlichkeit, der auch Kunstgeschichte studierte und seinen lebendigen Sinn für das Visuelle und Ästhetische behalten hat.

Frankfurt am Main, den 20. Juli 2011
Thomas Duve, Stefan Ruppert und Miloš Vec

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